Aktien aus den Bereichen Quantencomputing, modulare Atomreaktoren und Weltraumtechnologie verzeichneten zuletzt teils zweistellige Kursgewinne – und das, obwohl keine dieser Technologien aktuell wirtschaftlich einsetzbar ist. Solche Kursbewegungen sind typisch für ein spätes Stadium einer Börsenrallye: Anleger schieben Hoffnungen auf die Zukunft in absurde Bewertungsregionen und ignorieren fundamentale Risiken.
Die aktuelle Risikofreude an den Märkten ist nicht zufällig. Psychologisch betrachtet erleben wir eine klassische Spätphase einer Rallye – gekennzeichnet von Gier, Sorglosigkeit und dem Wunsch, immer noch mehr herauszuholen.
Viele Anleger fühlen sich durch die Kursgewinne der vergangenen Monate in ihrer Strategie bestätigt. Wer hohe Buchgewinne erzielt hat, glaubt, ein Gespür für den Markt entwickelt zu haben – und ist eher bereit, auch spekulative Investments einzugehen. Die Devise lautet: Wenn schon 50 % Gewinn möglich waren, warum nicht 100 %?
Diese Denkweise ist gefährlich, denn sie ignoriert fundamentale Risiken. Die Bewertungen vieler Technologieaktien basieren nicht auf Erträgen, sondern auf Erwartungen. Je weiter die Fantasie sich von der Realität entfernt, desto härter fällt später die Landung.
Hinzu kommt ein weiteres Phänomen: Die Angst, etwas zu verpassen („FOMO“). Wer noch nicht investiert ist, fühlt sich zunehmend unter Druck. Wer investiert ist, will nicht zu früh aussteigen. In dieser Gemengelage wird Gier zum Antrieb – rationales Abwägen tritt in den Hintergrund.
Das späte Stadium einer Rallye ist nie rational – es ist psychologisch. Und genau deshalb ist Vorsicht jetzt wichtiger als Mut.
Ein deutliches Beispiel liefert der Börsengang von Voyager Space. Das Unternehmen verspricht unter anderem KI-Rechenzentren im Weltall sowie Weltraumverteidigung für die USA. Der Jahresumsatz liegt bei überschaubaren 144 Mio. USD – doch die Marktkapitalisierung betrug beim IPO stolze 2,7 Mrd. USD. Brisant: Die gehandelten Aktien stammen überwiegend von Gründern und frühen Investoren, frisches Kapital wird nicht aufgenommen. Das ist kein Investment in die Zukunft, sondern eher ein lukrativer Ausstieg aus der Vergangenheit.
Für zusätzlichen Rückenwind sorgte eine überraschende Aussage von Nvidia-CEO Jensen Huang. Noch vor wenigen Monaten hatte er die Marktreife von Quantencomputern zehn Jahre in die Zukunft verortet – nun sprach er plötzlich vom „inflection point“, also einem Wendepunkt, an dem Innovation in Anwendung übergeht. Derartige Aussagen zündeten Fantasie bei zahlreichen Kleinfirmen im Quantenbereich – und führten zu deutlichen Kursgewinnen, trotz weiterhin unklarer wirtschaftlicher Perspektiven.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei modularen Atomreaktoren: Die Energieversorgung durch klassische Infrastruktur stößt zunehmend an Grenzen – nicht zuletzt durch den wachsenden Strombedarf von KI-Rechenzentren. In den USA häufen sich Meldungen über verlängerte Laufzeiten bestehender Reaktoren sowie Pläne für neue Kraftwerke. Oklo, ein Startup für modulare Reaktoren mit recyceltem Atommüll, ist zwar noch im Forschungsstadium – konnte aber kürzlich eine Aktienplatzierung über 400 Mio. USD verzeichnen, die deutlich überzeichnet war. Auch hier dominiert der Zukunftstraum das Bewertungsniveau.
Die jüngste Korrektur wurde durch geopolitische Spannungen mit dem Iran beschleunigt – doch sie war auch ohne äußeren Anlass längst überfällig. Die Überhitzung an den Märkten zeigt sich nicht in etablierten Indizes, sondern in den spekulativen Randbereichen. Genau dort manifestiert sich aktuell eine Risikobereitschaft, die typische Merkmale einer späten Rallye-Phase trägt.
Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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