Lieber Herr Heibel,
als immer interessierter Leser des Heibel-Ticker teile ich häufiger Ihre
eingängig formulierten Stellungnahmen.
Angesichts Ihrer Darlegungen zur Gentechnik und weltweiten
Versorgungssituation scheint mir aber doch der Focus etwas verengt (siehe http://heibel-ticker.de/archiv.php?standardID=143&start=0) .
Solange vor allem wir Europäer und die Nordamerikaner Überschüsse erzielen
(Milchpulver, Weizen, etc.) und diese unter Zuhilfenahme von staatlichen
Subventionen unter den Einstandspreisen der Erzeuger in Drittländern dort
vertreiben, kann meines Erachtens die Gentechnik in diesem Bereich durchaus
außen vor bleiben. Der Wegfall der Handelsbeschränkungen (Doharunde, WTO)
und der Wegfall der Erzeugersubventionen vor allem in der EU und den
Vereinigten Staaten würde ausreichen, um in weiten Teilen der Welt Flächen
andersartig nutzen zu können als für Soja oder Futtermais, der zur örtlichen
Versorgung wenig beiträgt.
Die weltweite Nahrungsmittelproduktion wäre derzeit (solange aus
Markterwägungen Produktion sogar vernichtet oder als Unterpflug verwendet
werden kann) für die Versorgung ausreichend. Es ist zwar ein anderes Thema,
bleibt aber eine universalisierbar unvertretbare Tatsache, dass angesichts
der Überproduktion kein Mensch auf der Welt verhungern dürfte, dies aber
Jahr für Jahr Millionen Menschen und gerade auch Kinder tun.
Sollte dieser Zustand weiter und verstärkt eskalieren, wird meines Erachtens
keineswegs die Gentechnik sondern eher eine Mischung aus Völkerwanderung und
Enteignungen für eine Lösung sorgen, schon um massenhaften gewaltsamen
Auseinandersetzungen vorzubeugen.
Dies wird meiner Auffassung nach aus naheliegenden Gründen für alle
Grundnahrungsmittel, insbesondere also auch Trinkwasser gelten. Eine
Investition in die Privatisierung dieser Grundnahrungsmittel ist daher nur
solange sinnvoll, wie dies nicht zu einer lebensbedrohenden Verknappung für
die Menschen führt. Dann werden Menschen diese Privatisierungen - und zwar
meines Erachtens ohne jeden staatlichen Widerstand dagegen - hinwegfegen.
Sei es über die Verstaatlichung durch die jeweiligen Regierungen selbst, sei
es nach Volksaufständen mit Ersetzung der bisherigen politischen Strukturen
zu diesem Zweck. Letztlich dürfte also nur die marktwirtschaftlich gerechte
Verteilung der Ressourcen weltweit überhaupt einen Markt garantieren.
Ihren einleuchtenden Kritikpunkten an der Gentechnik im Übrigen wären weitere
hinzuzufügen. Es gibt keine Langzeiterfahrungen mit gentechnisch veränderten
Produkten und damit auch langfristig eintretenden Schäden. Allerdings ist
die Komplexität und Interaktivität der Biosysteme ein Factum. Jeder
interessierte Leser des Spektrums an Print- und sonstigen Medien weiß, dass
gentechnisch gepflanzter Mais im Ökosystem in jedem Fall (einzig die Höhe
ist strittig) Einträge in Natursaaten verursacht. Menschlich gesetzte
Toleranzgrenzen sind daher schon angesichts vollständig fehlender
Langzeiterfahrungen über die Wechselwirkungen lachhaft.
Sie sprachen ganz zu recht die vorsichtige und örtlich bedingte bäuerliche
Veränderung von Saaten in langwierigen und kleinschrittigen Prozessen an.
Hierin findet sich allenfalls eine im Wege der natürlichen Mutation und
Selektion umkehrbare Veränderung jahrmillionenlang entstandener und an die
jeweiligen Umweltveränderungen angepasster Natursaaten als unserer
Ernährungsgrundlagen.
Angesichts offenkundiger Fehlerhaftigkeit in der
Folgeneinschätzungskompetenz durch unsere Rasse bei vermeintlich
verbessernden Umgestaltungen und Innovationen (Grünenthal und Contergan sind
für den Pharmabereich ein populäres Beispiel) wäre es daher kaum
verwunderlich, wenn sich der "Segen" der Gentechnik mittel- und langfristig
als "Fluch" für ernährungstechnisch verwertbare Grundsaaten herausstellen
würde.
Fazit:
Aus meiner Sicht ist eine Investition in Rohstoff- und
Nahrungsmittelproduktion, die auf weitere Verknappung und damit Verteuerung
von Grundnahrungsmitteln setzt, hoch riskant. Außer der Frage der ethischen
Vertretbarkeit an sich sind hier vor allem die völlige Unklarheit über die
Dynamik der Faktoren "Entzug der Lebensgrundlagen" und "Totalisierung
benachteiligter Bevölkerungen" ausschlaggebende Faktoren. In Teilen von
Afrika ist die Frage der Revolution aufgrund dieses Themas schon heute
allenfalls eine Frage ausreichender Bewaffnung. Auch die
immerwiederkehrenden Berichte über Flüchtlinge an den EU-Grenzen und die
Grenzzäune der USA nach Mittelamerika zeigen deutlich, dass das Thema schon
längst vorhanden ist. Es wird sich verstärken, jedenfalls solange, wie die
Grundversorgung mit Nahrung und Wasser keine Frage weltweiter Solidarität
und weitgehender Autarkie sondern privatisierter Partikularinteressen
bleibt.
Mit freundlichen Grüßen
Peter aus Düsseldorf
ANTWORT:
Besten Dank für Ihre kritischen Worte. Ja, die Gentechnik kann man
kritisch sehen, wie ich in meiner Analyse auch ausführte. Auch die
Subventionsproblematik und die Probleme der Umverteilung sind mir
bekannt. Meinem Eindruck nach wird an diesen Problemen gearbeitet und,
wenn ich einmal einen langen Zeithorizont nehme, ich habe den Eindruck,
dass die Welt immer ein Stückchen besser wird.
Welche Rolle die Gentechnik letztlich spielen wird und ob eine
Katastrophe wie Grünenthal für die Menschheit zum Lernen erforderlich
sein sollte, das kann ich heute noch nicht abschätzen. Ich gehe aber
davon aus, dass sich die Gentechnik ihre Nische suchen wird.{weiter[40|9]}
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