Veröffentlicht von Stephan Heibel am 23.03.2011 um 08:03 Uhr

Lesermeinungen zur Atom-Katastrophe in Japan

Nach meinem Update kurz nach den schrecklichen Ereignissen in Japan erhielt ich viele Kommentare meiner Leser, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Zunächst hier nochmals das Update vom 15.3.2011: Die Situation in Japan bleibt kritisch. Es erreichen mich immer mehr besorgte Anfragen von Ihnen hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf unsere offenen Positionen. Ich will daher einen kurzen Überblick über meine Einschätzung der möglichen Folgen geben. Der Nikkei ist heute um 10,5% eingebrochen. Die japanische Wirtschaft liegt brach, immer mehr Industrien stellen die Produktion mangels Strom (Toyota) und zugelieferter Produktionsteile (Honda: just in time!) ein. Angela Merkel hat angekündigt, die Atompolitik Deutschlands zu überdenken, und vor dem Hintergrund der alarmierenden Entwicklungen in Fukushima finden die Bürgerkriege in der arabischen Welt kaum noch Aufmerksamkeit. Es herrscht Chaos und Anleger stürzen sich auf Titel, die von den aktuellen Entwicklungen profitieren könnten. Die seit Jahren mit der Pleite kämpfende Conergy hat gestern 70% und heute nochmals 60% zugelegt. Man könnte meinen, die Atomkraftwerke unserer Welt werden morgen abgeschaltet und durch Solarenergie ersetzt. Auf der anderen Seite werden Atomkraftbetreiber wie RWE oder E.On ausverkauft. Heute früh trifft es nun plötzlich auch die deutschen Autobauer Daimler, BMW und VW, die am unteren DAX- Ende zu finden sind. Warum nun auch unsere Autobauer getroffen werden, die kaum nach Japan exportieren, kann ich mir allerdings nicht mehr erklären. Ich könnte nun schreiben: ?Ich erwarte eine Pilzwolke über Fukushima und Japan wird viele Jahre ohne ausreichend Strom sein. Die Informationspolitik des AKW-Betreibers Tepco ist nicht ehrlich, Japan täuscht falsche Fakten vor und einer der Reaktoren wird jeden Augenblick in die Luft fliegen...? Mit einem solchen Artikel würde ich mich über die Wissenschaftler stellen, die fieberhaft an Lösungsmöglichkeiten arbeiten und würde, mit einer reißerischen Schlagzeile versehen, viel Aufmerksamkeit erhalten. Die verunsicherten Menschen würden mir das sogar abnehmen, wenn ich es nur überzeugt genug schriebe. Wenn nun wirklich ein Reaktor in Fukushima explodiert, wäre ich ein Held, der das Drama rechtzeitig erkannt hat und seine Kunden warnte. Und wenn die Situation unter Kontrolle gebracht werden kann? Dann wäre man noch nicht einmal böse auf mich, denn ich habe ja nur die nötige Vorsicht walten lassen und meine Kunden auf das Schlimmste vorbereitet, oder? Aber mit einer solchen Panikmache würden Sie kein Geld verdienen, denn die Kurse sind bereits im Keller. Stattdessen wollen wir die Situation analysieren und uns auf die jetzigen Gegebenheiten einstellen. Im Betonmantel eines Reaktors gibt es bereits Löcher oder Risse und Radioaktivität ist ausgetreten. Zudem ist die Informationspolitik tatsächlich nicht befriedigend, der japanische Ministerpräsident hat Tepco deswegen bereits heftig angegriffen. Ja, es handelt sich um einen Atomunfall. Aber Wissenschaftler, die sich bislang zu Wort melden, stellen heraus, dass dieses Unglück nicht die Auswirkung von Tschernobyl erreichen wird, weil es einen weitgehend intakten Betonmantel um die Reaktoren gibt. Was wäre also, wenn es nicht zu einem Pilz über Fukushima kommt? Was wäre, wenn die Situation in den nächsten Tagen langsam in den Griff bekommen wird? Was wäre, wenn Studien zeigen, dass gerade die AKWs das Erdbeben mit anschließender Flutwelle besser überstanden haben, als es ein Gaskraftwerk beispielsweise getan hätte? Es wird Länder geben, Deutschland und die USA beispielsweise, die werden nach diesem Erlebnis nie wieder ein neues Atomkraftwerk zulassen. Das ist ja schon seit Tschernobyl 1986 nicht mehr der Fall. Es gibt aber auch Länder, die werden weiterhin auf Atomkraft setzen, China hat beispielsweise gestern erst seine entsprechenden Pläne bekräftigt ? trotz Fukushima. Und in Japan wird man irgendwann auch mit dem Aufbau der zerstörten Regionen beginnen. Man wird dort dann viel Zement (HeidelbergCement) und Stahl (Klöckner, Salzgitter, ThyssenKrupp) benötigen, um die Infrastruktur wieder aufzubauen. Ich könnte mir vorstellen, dass Stromgeneratoren weltweit ausverkauft werden (Deutz, siehe Wunschanalyse vor 10 Tagen). Deutz gehört zu den Aktien, die mit am stärksten ausverkauft werden. Ich kann mir das nicht erklären. Das Unternehmen hat direkt in Japan überhaupt keinen Standort und liefert nach Auskunft der IR-Abteilung jährlich nur etwas 200-300 Motoren über Singapur nach Japan. Ich kann den Ausverkauf in Deutz also nur damit erklären, dass Anleger unkontrolliert einfach alles auf den Markt werfen und in Panik verfallen. Doch zurück zu dem Anti-Chaos-Szenario: Die Welt würde nicht vollständig auf Solarenergie umschwenken, sondern AKWs würden weiterhin einen maßgeblichen Anteil an der Energiegewinnung behalten, auch in Deutschland, und die Aktien von Solarworld, Conergy, Q-Cells, Centrotherm etc. würden wieder auf ihr ursprüngliches Niveau zurückfallen. Der Ölpreis dürfte meiner Ansicht nach fallen, egal wie Fukushima sich entwickelt. Lassen Sie sich nicht von den Bildern wartender Autos vor japanischen Tankstellen täuschen: Öl ist nicht gleich Benzin. Aus Öl wird in Raffinerien Benzin gemacht. Viele Raffinerien sind an der Küste gelegen, um das von Tankern gelieferte Öl gleich vor Ort zu verarbeiten. Und in Japan sind nun viele dieser Raffinerien außer Betrieb, sei es durch Schäden oder auch durch fehlenden Strom. Japan nimmt derzeit also weniger Öl von den Weltmärkten ab, der Ölpreis dürfte also fallen. Dennoch gibt es nicht genug Benzin für die Autos der Japaner, der Preis an der Tankstelle steigt, das Benzin ist bereits genau wie der Strom vielerorts rationiert. In die Ölpreisentwicklung spielt natürlich auch der Bürgerkrieg in Libyen hinein, sowie auch die Entwicklung in Bahrain. Saudi Arabien hat 1.000 Soldaten in den Nachbarstaat geschickt, um das dortige Regime gegen die Aufständischen zu unterstützen. In den USA werden Stimmen laut, der Iran sei die neue Sowjetunion und wiegele alle US-verbündeten arabischen Länder gegen das US- freundliche eigene Regime auf. Während also die Entwicklung in Japan für einen fallenden Ölpreis spricht, gibt es in der arabischen Welt ausreichend Gründe für einen anhaltenden Ölpreisanstieg. Während ein rückläufiger Ölpreis wie ein Konjunkturprogramm wirkt, könnte ein weiter ansteigender Ölpreis die Konjunktur abwürgen. Der Nikkei brach gestern um 6% ein, heute nochmals um 10,5%. Der DAX ging gestern um 1,7% ins Minus und am heutigen Tag nochmals um derzeit 4,7%. Ich denke, bei 6.500 Punkten im DAX ist das Schreckensszenario in Japan und in der arabischen Welt ausreichend berücksichtigt, nicht berücksichtigt ist jedoch der Fall, dass es nicht mehr schlimmer, vielleicht sogar schon bald etwas besser werden könnte. Es ist daher in meinen Augen ratsam, heute Aktien zu kaufen. Mein Standardspruch für diese Situation: Niemand hat jemals durch Panikverkäufe Geld verdient. Im Gegenteil, denn oftmals stellt es sich später heraus, dass man gerade am Tiefpunkt der Korrektur die Nerven verlor und somit viel zu billig verkauft hat. Ich würde heute das Gegenteil tun: Kaufen. Womit? Nun, falls Sie Aktien besitzen, die irgend etwas mit Solarenergie oder anderen erneuerbaren Energien zu tun haben, sollten Sie die geschenkten Gewinne der vergangenen zwei Tage jetzt nutzen, um die Positionen zu verkaufen. Die Solarenergie wird aufgrund des Vorfalls in Fukushima vielleicht langfristig wieder einen höheren Stellenwert erhalten (hoffentlich!), doch kurzfristig werden in Japan Diesel-Stromgeneratoren gekauft und nicht Solarkraftwerke gebaut (Deutz). {weiter[40|9]}

...

Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

heibel-ticker.de

LinkedIn YouTube Xing

Vorheriger Artikel

E10-Diskussionen reißen nicht ab

Nächster Artikel

Stopp Loss Handling


© Copyright 2006 - 2024 Heibel-Unplugged