Nach meinem Update kurz nach den schrecklichen Ereignissen in Japan erhielt ich viele Kommentare meiner Leser, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Zunächst hier nochmals das Update vom 15.3.2011:
Die Situation in Japan bleibt kritisch. Es erreichen mich immer
mehr besorgte Anfragen von Ihnen hinsichtlich möglicher
Auswirkungen auf unsere offenen Positionen. Ich will daher
einen kurzen Überblick über meine Einschätzung der möglichen
Folgen geben.
Der Nikkei ist heute um 10,5% eingebrochen. Die japanische
Wirtschaft liegt brach, immer mehr Industrien stellen die
Produktion mangels Strom (Toyota) und zugelieferter
Produktionsteile (Honda: just in time!) ein. Angela Merkel hat
angekündigt, die Atompolitik Deutschlands zu überdenken, und
vor dem Hintergrund der alarmierenden Entwicklungen in
Fukushima finden die Bürgerkriege in der arabischen Welt kaum
noch Aufmerksamkeit.
Es herrscht Chaos und Anleger stürzen sich auf Titel, die von
den aktuellen Entwicklungen profitieren könnten. Die seit
Jahren mit der Pleite kämpfende Conergy hat gestern 70% und
heute nochmals 60% zugelegt. Man könnte meinen, die
Atomkraftwerke unserer Welt werden morgen abgeschaltet und
durch Solarenergie ersetzt.
Auf der anderen Seite werden Atomkraftbetreiber wie RWE oder
E.On ausverkauft. Heute früh trifft es nun plötzlich auch die
deutschen Autobauer Daimler, BMW und VW, die am unteren DAX-
Ende zu finden sind. Warum nun auch unsere Autobauer getroffen
werden, die kaum nach Japan exportieren, kann ich mir
allerdings nicht mehr erklären.
Ich könnte nun schreiben: ?Ich erwarte eine Pilzwolke über
Fukushima und Japan wird viele Jahre ohne ausreichend Strom
sein. Die Informationspolitik des AKW-Betreibers Tepco ist
nicht ehrlich, Japan täuscht falsche Fakten vor und einer der
Reaktoren wird jeden Augenblick in die Luft fliegen...?
Mit einem solchen Artikel würde ich mich über die
Wissenschaftler stellen, die fieberhaft an Lösungsmöglichkeiten
arbeiten und würde, mit einer reißerischen Schlagzeile
versehen, viel Aufmerksamkeit erhalten. Die verunsicherten
Menschen würden mir das sogar abnehmen, wenn ich es nur
überzeugt genug schriebe. Wenn nun wirklich ein Reaktor in
Fukushima explodiert, wäre ich ein Held, der das Drama
rechtzeitig erkannt hat und seine Kunden warnte. Und wenn die
Situation unter Kontrolle gebracht werden kann?
Dann wäre man noch nicht einmal böse auf mich, denn ich habe ja
nur die nötige Vorsicht walten lassen und meine Kunden auf das
Schlimmste vorbereitet, oder?
Aber mit einer solchen Panikmache würden Sie kein Geld
verdienen, denn die Kurse sind bereits im Keller.
Stattdessen wollen wir die Situation analysieren und uns auf
die jetzigen Gegebenheiten einstellen. Im Betonmantel eines
Reaktors gibt es bereits Löcher oder Risse und Radioaktivität
ist ausgetreten. Zudem ist die Informationspolitik tatsächlich
nicht befriedigend, der japanische Ministerpräsident hat Tepco
deswegen bereits heftig angegriffen.
Ja, es handelt sich um einen Atomunfall. Aber Wissenschaftler,
die sich bislang zu Wort melden, stellen heraus, dass dieses
Unglück nicht die Auswirkung von Tschernobyl erreichen wird,
weil es einen weitgehend intakten Betonmantel um die Reaktoren
gibt.
Was wäre also, wenn es nicht zu einem Pilz über Fukushima
kommt? Was wäre, wenn die Situation in den nächsten Tagen
langsam in den Griff bekommen wird? Was wäre, wenn Studien
zeigen, dass gerade die AKWs das Erdbeben mit anschließender
Flutwelle besser überstanden haben, als es ein Gaskraftwerk
beispielsweise getan hätte?
Es wird Länder geben, Deutschland und die USA beispielsweise,
die werden nach diesem Erlebnis nie wieder ein neues
Atomkraftwerk zulassen. Das ist ja schon seit Tschernobyl 1986
nicht mehr der Fall. Es gibt aber auch Länder, die werden
weiterhin auf Atomkraft setzen, China hat beispielsweise
gestern erst seine entsprechenden Pläne bekräftigt ? trotz
Fukushima.
Und in Japan wird man irgendwann auch mit dem Aufbau der
zerstörten Regionen beginnen. Man wird dort dann viel Zement
(HeidelbergCement) und Stahl (Klöckner, Salzgitter,
ThyssenKrupp) benötigen, um die Infrastruktur wieder
aufzubauen. Ich könnte mir vorstellen, dass Stromgeneratoren
weltweit ausverkauft werden (Deutz, siehe Wunschanalyse vor 10
Tagen).
Deutz gehört zu den Aktien, die mit am stärksten ausverkauft
werden. Ich kann mir das nicht erklären. Das Unternehmen hat
direkt in Japan überhaupt keinen Standort und liefert nach
Auskunft der IR-Abteilung jährlich nur etwas 200-300 Motoren
über Singapur nach Japan. Ich kann den Ausverkauf in Deutz also
nur damit erklären, dass Anleger unkontrolliert einfach alles
auf den Markt werfen und in Panik verfallen.
Doch zurück zu dem Anti-Chaos-Szenario: Die Welt würde nicht
vollständig auf Solarenergie umschwenken, sondern AKWs würden
weiterhin einen maßgeblichen Anteil an der Energiegewinnung
behalten, auch in Deutschland, und die Aktien von Solarworld,
Conergy, Q-Cells, Centrotherm etc. würden wieder auf ihr
ursprüngliches Niveau zurückfallen.
Der Ölpreis dürfte meiner Ansicht nach fallen, egal wie
Fukushima sich entwickelt. Lassen Sie sich nicht von den
Bildern wartender Autos vor japanischen Tankstellen täuschen:
Öl ist nicht gleich Benzin. Aus Öl wird in Raffinerien Benzin
gemacht. Viele Raffinerien sind an der Küste gelegen, um das
von Tankern gelieferte Öl gleich vor Ort zu verarbeiten. Und in
Japan sind nun viele dieser Raffinerien außer Betrieb, sei es
durch Schäden oder auch durch fehlenden Strom. Japan nimmt
derzeit also weniger Öl von den Weltmärkten ab, der Ölpreis
dürfte also fallen.
Dennoch gibt es nicht genug Benzin für die Autos der Japaner,
der Preis an der Tankstelle steigt, das Benzin ist bereits
genau wie der Strom vielerorts rationiert.
In die Ölpreisentwicklung spielt natürlich auch der Bürgerkrieg
in Libyen hinein, sowie auch die Entwicklung in Bahrain. Saudi
Arabien hat 1.000 Soldaten in den Nachbarstaat geschickt, um
das dortige Regime gegen die Aufständischen zu unterstützen. In
den USA werden Stimmen laut, der Iran sei die neue Sowjetunion
und wiegele alle US-verbündeten arabischen Länder gegen das US-
freundliche eigene Regime auf. Während also die Entwicklung in
Japan für einen fallenden Ölpreis spricht, gibt es in der
arabischen Welt ausreichend Gründe für einen anhaltenden
Ölpreisanstieg.
Während ein rückläufiger Ölpreis wie ein Konjunkturprogramm
wirkt, könnte ein weiter ansteigender Ölpreis die Konjunktur
abwürgen.
Der Nikkei brach gestern um 6% ein, heute nochmals um 10,5%.
Der DAX ging gestern um 1,7% ins Minus und am heutigen Tag
nochmals um derzeit 4,7%. Ich denke, bei 6.500 Punkten im DAX
ist das Schreckensszenario in Japan und in der arabischen Welt
ausreichend berücksichtigt, nicht berücksichtigt ist jedoch der
Fall, dass es nicht mehr schlimmer, vielleicht sogar schon bald
etwas besser werden könnte. Es ist daher in meinen Augen
ratsam, heute Aktien zu kaufen.
Mein Standardspruch für diese Situation: Niemand hat jemals
durch Panikverkäufe Geld verdient. Im Gegenteil, denn oftmals
stellt es sich später heraus, dass man gerade am Tiefpunkt der
Korrektur die Nerven verlor und somit viel zu billig verkauft
hat. Ich würde heute das Gegenteil tun: Kaufen.
Womit? Nun, falls Sie Aktien besitzen, die irgend etwas mit
Solarenergie oder anderen erneuerbaren Energien zu tun haben,
sollten Sie die geschenkten Gewinne der vergangenen zwei Tage
jetzt nutzen, um die Positionen zu verkaufen. Die Solarenergie
wird aufgrund des Vorfalls in Fukushima vielleicht langfristig
wieder einen höheren Stellenwert erhalten (hoffentlich!), doch
kurzfristig werden in Japan Diesel-Stromgeneratoren gekauft und
nicht Solarkraftwerke gebaut (Deutz).
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