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Veröffentlicht von Stephan Heibel am 18.04.2023 um 10:16 Uhr

Katastrophen können auch ausbleiben

Im aktuellen Börsenausblick gebe ich meine Einschätzung zu einem drohenden Crash der Gewerbeimmobilien, zu einer drohenden Auseinandersetzung um Taiwan sowie zum Ukrainekrieg.

Die Gefahren sind hinlänglich bekannt. Ich schaue nach, was passieren würde, wenn die Gefahren Gefahren bleiben, jedoch nicht eintreten. Aus diesem Blickwinkel hat die aktuelle Rallye sogar noch Luft nach oben.

Die am Freitag veröffentlichen Q-Zahlen der großen US-Banken zeigen, dass die Bankkrise der mittelgroßen US-Banken nicht auf die Großbanken ausgestrahlt hat. Im Gegenteil, deren verwaltetes Vermögen ist angestiegen, weil Kunden ihre Gelder von den vermeintlich wackeligen mittelgroßen Banken zu den großen übertragen haben.

Der Großteil der Investitionsfinanzierungen wird jedoch gerade durch die mittelgroßen Banken realisiert. Wenn bei denen Kapital abgezogen wird, dann müssen sie ihre Kreditvergabe einschränken. Wenngleich wir heute also positive Daten der Großbanken sehen, was die Aktienmärkte zu einem positiven Börsentag animiert, so dürfen wir doch nicht vergessen, dass Investitionen nunmehr schwerer zu finanzieren sind.

Doch genau das ist ja auch ein positiver Effekt, wenn wir die Brille der US-Notenbank aufsetzen: Knappere Finanzierungsbedingungen für Investitionen helfen der Fed beim Kampf gegen die Inflation. Die Zinserhöhungen der Fed können also früher enden als zuvor befürchtet. Vielleicht gibt es im laufenden Jahr sogar schon erste Zinssenkungen. Zusätzlich hilft noch der Basiseffekt, denn viele Rohstoffpreise sind heute günstiger als vor einem Jahr und wirken sich daher bremsend auf die aktuelle Inflationsziffer aus.

Mahner deuten auf die Kerninflation, die allerdings weiter ansteigt. Bei der Kerninflation betrachtet man das Preisniveau der Endprodukte für den Konsumenten, um die mitunter heftigen Preisschwankungen der Rohstoffmärkte unberücksichtigt zu lassen: Wie viel Teuerung kommt denn aktuell wirklich bei der Bevölkerung an? Und da sieht es sowohl in den USA als auch in Europa noch nicht gut aus, die Kerninflation steigt noch immer an.

Drohender Crash der Gewerbeimmobilien

Somit bleibt der Zinsmarkt ein Thema. Und entsprechend bleiben die Sorgen um den Immobilienmarkt, mit der Popularität des Heimarbeitsplatzes insbesondere des Gewerbeimmobilienmarktes, groß. Mahner befürchten den nächsten Immobiliencrash, wenn steigende variable Finanzierungskosten in die Bilanzen von Unternehmen schneiden.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Notenbank Gefahren ihrer Aktionen unterschätzt und die Zinsschraube überdreht. Es wäre auch nicht das zweite Mal, sondern es wäre, so bitter das auch sein mag, der Normalfall. Es lohnt sich also, diesen Markt im Blick zu behalten. Dennoch dürfte es meiner Einschätzung nach eine Weile dauern, bis zu hohe Finanzierungskosten bei Gewerbeimmobilien zu Problemen führen, die sich auf die Gesamtwirtschaft ausweiten.

Ukrainekrieg

Wenn wir uns den Verlauf des Ukrainekrieges aus Sicht der Finanzmärkte betrachten, so befinden wir uns seit langem in einer neuen Normalität: Kriegswirtschaft heißt das Stichwort, mit dem viele Entscheidungen getroffen werden. Eine negative Überraschung ist an dieser Nachrichtenfront kaum mehr möglich, vielmehr wäre ein mögliches Ende, mögliche Verhandlungen eine positive Überraschung.

Drohende Auseinandersetzung um Taiwan

Die Taiwan-Problematik hat sich in den vergangenen Wochen zugespitzt. Die USA haben eine klare Haltung. In Europa scheinen wir noch Diskussionsbedarf zu haben. Ungeachtet dessen wäre eine weitere Verschärfung des Konflikts, beispielsweise durch eine Blockade der Schifffahrtsrouten um Taiwan seitens Chinas, wie es seit einigen Tagen diskutiert wird, eine Katastrophe. Gefühlt werden alle Chips der Welt in Taiwan hergestellt. Die Produktionskapazitäten außerhalb Taiwans sind sehr klein.

PVA Tepla würde von einem solchen Szenario profitieren, denn man müsste in Windeseile Chipfabriken in Europa aus dem Boden stampfen. In den USA laufen bereits entsprechende Programme, um sich ein wenig unabhängiger von diesem Problem zu machen. Ich war davon ausgegangen, dass auch Europa in dieser Hinsicht vorbauen würde, doch davon ist bislang nichts zu sehen.

Es gibt also genügend Probleme und drohende Gefahren, um den extremen Pessimismus, den wir in unserer aktuellen Investoren Umfrage messen, zu erklären. Doch solange die Situation nicht eskaliert, dürften die Aktienmärkte weiter ansteigen. Wir sehen, wie gut die Quartalszahlen ausfallen. Unternehmensprognosen werden angehoben, je länger die Befürchtungen nicht eintreten. Ich habe eine Wette laufen, dass wir bis Ende Mai noch ein neues Allzeithoch im DAX sehen werden.

Doch setzen wir mal die rosarote Brille auf: Wie könnte denn eine positive Entwicklung aussehen?

Nun, China ist in internationalen Fragen sehr geduldig und setzt auf kontinuierliche Entwicklungen, eine militärische Konfrontation wird dort eigentlich vermieden. Mit Hongkong hat man es vorgemacht, wie man abtrünnige Regionen zurückholt. Ich wäre daher nicht überrascht, wenn das große, negative Ereignis ausbleibt. Die aktuelle Militäroperation ist ein weiterer, kleiner Schritt, der zwar im Westen kritisiert wird, aber nicht zum Abbruch der Handelsbeziehungen führt.

Die Zinsanhebungen sind nun keine Überraschung mehr und das neue Zinsniveau, mit dem wir uns derzeit am langen Ende (Immobilienfinanzierungen) abfinden müssen, ist bereits deutlich niedriger als noch im vergangenen Sommer. Das mag bei einigen Unternehmen Schmerzen verursachen, doch ein Gewerbeimmobiliencrash wird nicht zwangsläufig kommen.

Wenn also die Katastrophen ausbleiben, dann werden sich insbesondere Wachstumsunternehmen über das Ende der Zinsanhebungen freuen. Tech-Unternehmen wurden im vergangenen Jahr ausverkauft. Meta und Nvidia haben seither bereits Kurserholungen von bis zu 100% erfahren. Wurde noch vor anderthalb Jahren das Bewertungsniveau vieler Tech-Unternehmen als viel zu hoch betrachtet, so zeigt sich heute schon, dass die Unternehmen sehr schnell in diese hohen Bewertungen hineingewachsen sind. Insbesondere die Gewinnsituation hat sich überraschend positiv entwickelt, weil die Schwarzmalerei der vergangenen Monate dem Management den erforderlichen Rückhalt für harte Einschnitte gegeben hat.

Die Meldungen mehren sich, dass wir vielleicht doch keine Rezession bekommen, sondern nur eine Konjunkturschwäche. Entsprechend dürften viele Rohstoffunternehmen und Industrieunternehmen deutlich ansteigen. Auch die Logistiker und Chemieunternehmen dürften von einer geringeren Rezessionsgefahr profitieren. Na, und wenn das nicht reicht, dann sollten auch mehr Autos verkauft werden und die Banken dürfen sich dank weniger Insolvenzen über eine Gesundung ihrer Bilanzen freuen.

Ganz schön viel, was noch ansteigen kann, oder?

Daher nochmals zur Erinnerung: Ich gehe bislang davon aus, dass wir bis in den Mai hinein keine dramatischen Korrekturen sehen werden. Den Sommer hindurch könnte es zu der einen oder andere Konsolidierung der erzielten Kursgewinne kommen und ab September/ Oktober sollte dann ein Jahresendspurt starten.

Aber Sie wissen ja: Ich brauche einen Fahrplan allein schon dafür, um beurteilen zu können, wenn die Entwicklung davon abweicht. Es ist also eine Arbeitshypothese, nach der ich mich richte, solange sie passt. Wenn's nicht mehr passt, ändere ich unsere Strategie :-)

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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