Veröffentlicht von Stephan Heibel am 30.04.2008 um 07:32 Uhr

Börsenanalyse: Tech- und Finanzsektor weiterhin meiden

Hallo Herr Heibel, ich habe Ihre Marktanalyse gelesen und da ich grundsätzlich anderer Auffassung bin, wollte ich dies mal kurz zur Diskussion stellen. Sie schreiben, dass die Finanzkrise noch nicht ausgestanden sei und auch die optisch günstigen Technologiewerte noch nicht gekauft werden sollten. Meine Auffassung ist jedoch die Folgende, die ich gerne zur Diskussion stellen möchte: Ähnlich wie 1999 hat die FED zuletzt die Zinsen agressiv gesenkt. 1999 war die damalige Y2K Angst der Grund, heute ist es die Finanz-, Immobilien- und Kreditkrise. Ähnlich wie 1999 Greenspan war jedoch auch diesmal Bernanke, alleine schon wegen der Rezessionsangst und der Angst vor einer Weltwirtschaftskrise, sehr aggressiv in seinem Vorgehen (ich teile Ihre Meinung, dass frühere kleinere Zinsschritte nach unten besser gewesen wären, aber es ist nun ja mal so wie es ist). Und da sich die aktuelle Krise, ähnlich wie die damalige Y2K Angst als viel weniger groß als zunächst angenommen herausstellen wird, ist nun eine gigantische Liquiditätsflut an den Märkten. Dies wird dazu führen, das wir ähnlich wie 1999/2000 wieder eine sehr starke Rallye an den Aktienmärkten, nämlich eine liquiditätsgetriebene Hausse sehen werden. Da nach nunmehr 8 Jahren auch die damalige Techbubble zu großen Teilen aus den Köpfen sein sollte, halte ich gerade die aktuell optisch günstigen Techwerte für kaufenswert, denn diese werden neben den Finanz- und Immobilienwerten, die im Zuge der Krise zu stark geprügelt worden, diese starke Rallye anführen. Daher rate ich aktuell, siehe auch die heutigen News bei Sharewise (http://www.sharewise.com/news_articles/288-DAX-DowJones-Nikkei), diese Sektoren massiv überzugewichten und teile Ihre Auffassung nicht. Können Sie in meiner Argumentationskette einen gravierenden Fehler entdecken, den ich vielleicht übersehen habe? Ich kann dies bis dato nämlich nicht! Beste Grüße, Sascha aus München ANTWORT: Besten Dank für Ihren Gedankengang. Ich bin nicht derjenige, der Sie korrigieren könnte, denn auch ich kann natürlich mit meiner Sicht der Dinge falsch liegen. Hier meine Gedanken: Ein Großteil der dicken Gewinne der Finanzbranche der vergangenen Jahre stammt aus dem Bereich der Immobilienderivate, sowie aus dem Investmentbanking (Finanzierungen). Beide Bereiche sind in den vergangenen Monaten weggebrochen, die Banken haben große Teile ihres Immobilienderivateengagements (welch ein Wort, könnte es fast mit der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft aufnehmen) verscherbelt und Finanzierungen aufgekündigt. Die fehlenden Kredite werden derzeit durch reihenweise Zweitplatzierungen an den Börsen durch die gesunden Unternehmen ersetzt. Damit werden die Finanzinstitute auch in den nächsten Monaten nicht so schnell zu ihrer ursprünglichen Profitabilität zurückkehren. Das Downsizing (Verkleinern) wird noch einige Monate anhalten. Die Finanzbranche wird also auf absehbare Zeit weiter sich verschlechternde Fundamentaldaten ausweisen. Die Aktien werden zwar nicht mehr so stark fallen, aber auch keine nachhaltige Rallye einschlagen. Nun ist der Finanzsektor der größte Kunde von Dell, Hewlett Packard, Microsoft, Cisco, IBM, EMC, etc... und wenn die Kunden sparen müssen, dann wird auch der EDV-Bereich rückläufige Budgets ausweisen. Ich habe vor wenigen Tagen mit einer EDV-Leiterin von AIG, dem amerikanischen Versicherer, gesprochen. Sie sagt, bei ihr seien noch keine Budgetstreichungen vorgenommen worden, aber sie rechnet in den nächsten Wochen fest damit. Morgen werde ich im Rahmen der Wunschanalyse vermutlich VMware analysieren, ein Unternehmen, das die Hard- und Softwareinvestitionen von Unternehmen um ein Vielfaches verkleinern kann. Neue Trends in der Technologiebranche werden in den nächsten Monaten meiner Erwartung nach nur im Kosumentenbereich zu erwarten sein. Apple, Research in Motion, Samsung, Nokia, etc... wer etwas Schickes für den Privatbereich hat, der kann gut verdienen. Im Geschäftsbereich wird der Gürtel enger geschnallt. Soweit die fundamentale Situation des Tech-Sektors: Die Unternehmen müssen darum kämpfen, ihr Wachstum konstant zu halten. Ganz anders sieht es hingegen im Rohstoffbereich aus. Dort werden regelmäßig die Erwartungen übertroffen. Die Rohstoffpreise klettern über alle Hürden hinweg: Gold über 1.000 USD/Oz, Öl wünschen wir uns inzwischen auf 100 USD/Fass, usw. Diese Investmentgeschichte lockt neue Gelder an. Wer heute viel Geld zum Investieren hat, der sucht sich einen Bereich, der gesund ist und der mit seinem schnellen Wachstum immer wieder für positive Überraschungen sorgt. Selbst wenn Microsoft, Dell, etc. ihre Wachstumsraten konstant halten, selbst wenn die es schaffen, die gesetzten Ziele zu erreichen, sie werden kaum für so positive Überraschungen sorgen, wie dies derzeit im Rohstoffsektor an der Tagesordnung ist. Nun stellen Sie sich vor, Sie sind arabischer Ölscheich mit einigen Milliarden zum Anlegen, oder Sie sind chinesischer Unternehmer mit einem ähnlichen Betrag. Sie sehen jeden Tag, wie die Rohstoffe knapp werden, wie unglaubliche Preise für Rohstoffe gezahlt werden. Und bei den Technologieunternehmen hören Sie beschwörende Worte, dass die Wachstumsprognosen trotz Rezession erreicht werden. Wo würden Sie Ihr Geld hinstecken? In den Rohstoffsektor. Und weil dies so ist, kommt es eben im Rohstoffsektor zu einer selbst erfüllenden Prophezeihung. Mehr Geld fließt in den Rohstoffsektor, die Kurse steigen, das wiederum lockt neue Anleger an. Und diese neuen Anleger fehlen im Technologiesektor, egal wie gut die Prognosen dort erfüllt werden. A rising tide lifts all ships ... warum im Technologiesektor nach der Nadel im Heuhaufen suchen, wenn der gesamte Rohstoffbereich steigt?{weiter[40|9]}

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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