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Veröffentlicht von Stephan Heibel am 31.05.2022 um 09:22 Uhr

Investoren Sentiment: Anleger bleiben vorsichtig, trotz fulminanter Rallye

Wir hatten in den vergangenen Wochen eine Liste mit Superlativen aus der Sentimentwelt erstellt:

  • Längste Phase negativer Stimmung in unserer Umfrage seit 8 Jahren
  • Niedrigste Bullenquote in US-Stimmungsumfrage seit 40 Jahren
  • Extrem niedrige Investitionsquote der US-Fondsanleger
  • 8 Wochen Kursverlust in Folge gab es beim Dow Jones zuletzt 1923
  • Gemäß der Umfrage der Bank of America ist die Cashquote auch international bei Fondsmanagern so hoch wie seit dem Coronacrash nicht mehr... , eine andere Erhebung zeigt die höchste Cashquote seit 9/11.
  • Die Investitionsbereitschaft am Anleihemarkt ist quasi nicht vorhanden: Seit 6 Monaten pendelt diese gemäß unserer Umfrage um die 10%-Linie der Extremwerte.
  • Die Nachrichtenwahrnehmung am Anleihemarkt ist so negativ, dass ich unsere Graphik neu justieren muss. Die Ergebnisse befinden sich aktuell außerhalb des Anzeigespektrums, das die vergangenen 15 Jahre ausgereicht hatte.
  • Die Angst vor einer Stagflation war seit 2008 nicht mehr so groß
  • Die Gewinnerwartung für Unternehmen ist extrem niedrig
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Solche Superlative werden nicht binnen weniger Tage aufgelöst. Doch gleichzeitig deutet die extrem schnelle Schwankung im Short Range Oscillator darauf hin, dass Anleger in Hektik verfallen und auch kurzfristig ihre Positionierung ändern. Eine Erholung der Aktienmärkte in Form einer linearen, fulminanten Rallye erwarte ich daher nicht. Die Erholung dürfte meiner Einschätzung nach noch nicht abgeschlossen sein, doch könnte sie immer wieder durch einige Tage der Verunsicherung unterbrochen werden.

"Sell in may and go away" werden Sie sicherlich in den kommenden Wochen wieder, wie jedes Jahr, in der Finanzpresse lesen. Doch diese vermeintliche Börsenweisheit gilt nicht in Jahren, in denen der Aktienmarkt schwach begonnen hat. Lassen Sie sich daher nicht von dieser Pauschalisierung verunsichern.

Gründe, mit denen Anleger verunsichert werden können, gibt es genug: Im Krieg in der Ukraine deutet sich nach wie vor keine Lösung an. Corona in China bleibt eine Gefahr, da die Bevölkerung durch minderwertige chinesische Impfstoffe kaum grundimmunisiert ist. Und wenngleich die Inflation nicht weiter ansteigt, so verharrt sie doch auf hohem Niveau. Der Druck auf Anlegern, sich von negativen Entwicklungen in einem dieser drei Bereiche nicht überraschen zu lassen, ist groß. Vorsicht überwiegt.

Sentimentanalyse

Nachfolgend finden Sie die Anylyse der Sentiment-Faktoren und unserer Investoren-Umfrage. Die nächste Analyse und Interpretation erscheint wie gewohnt kommenden Freitag im Heibel-Ticker.

Da ist sie nun endlich, die Rallye. Wir hatten mehrfach auf die Extremsituation im Anlegersentiment hingewiesen. Doch kaum springen die Aktienmärkte an, kommen schon wieder Zweifel an der Nachhaltigkeit des Kursanstiegs auf: Es sei nur eine Gegenbewegung, sagen die Einen. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, sagen die Anderen. Unisono wird auf die prekäre Situation an den Märkten hingewiesen: Hohe Inflation, Krieg, Lockdown, ...

Schauen wir uns also mal an, was das Anlegersentiment über die weitere Entwicklung aussagt.

Die Stimmung der Anleger ist sprunghaft von -4,8 auf -0,9 angestiegen. Damit ist die Niedergeschlagenheit der Vorwochen zwar zu einem großen Teil abgebaut. Von guter Laune kann jedoch noch immer keine Rede sein. Es bleibt dabei: Seit der zweiten Woche im Januar ist die Stimmung durchgehend negativ, es handelt sich um die längste Phase negativer Stimmung, die wir im Anlegersentiment je gemessen haben.

Auch die Verunsicherung bleibt: Nach dem Extremwert von -4,5 in der Vorwoche geht die Verunsicherung nun auf moderate -2,3 zurück. Selbstzufriedenheit (ein positiver Wert) unter Anlegern ist also noch immer nicht in Sicht.

Die Zukunftserwartung ist genau wie in der Vorwoche bei 0,0 und somit neutral. Bullen und Bären halten sich die Waage. Dennoch steigt die Investitionsbereitschaft von 1,6 in der Vorwoche leicht auf 1,9 an.

Das Euwax-Sentiment der Privatanleger ist weiterhin leicht negativ mit einem Wert von -4. Die starke Absicherungsneigung der Privatanleger aus dem Monat März ist zurückgegangen, doch aufgelöst werden die eingegangenen Absicherungen noch nicht.

Institutionelle Anleger, die sich über die Eurex absichern, haben ihre Absicherungskäufe von Puts hochgefahren. Das Put/Call-Verhältnis ist auf 3,0% angestiegen, es werden deutlich mehr Puts gekauft als Calls.

In den USA sehen wir ein ähnliches Bild, das Put/Call-Verhältnis der CBOE notiert ebenfalls weiterhin auf einem hohen Niveau.

Und auch die US-Fondsanleger bleiben vorsichtig. Die Investitionsquote ist zwar im Vergleich zur Vorwoche von 19% auf 33% angestiegen, doch noch immer weit entfernt von einer durchschnittliche Investitionsquote von 80%.

Das Bulle/Bär-Verhältnis der US-Privatanleger zeigt mit -34% weiterhin eine klare Dominanz der Bären. Nur 20% der Anleger sind optimistisch, 54% zählen sich zu den Pessimisten.

Auch der technische Angst und Gier Indikator des S&P 500 zeigt mit einem Wert von 21% extreme Angst an.

Eine Überraschung hält der Short Range Oscillator des S&P 500 bereit: Mit einem Wert von 4,5 ist dieser stark schwankende Indikator bereits in eine überkaufte Marktsituation gesprungen. Die Rallye der vergangenen Tage war so stark, dass dieser Indikator binnen weniger Tage aus dem extrem negativen Terrain ins extrem positive Terrain gesprungen ist.

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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