Veröffentlicht von Stephan Heibel am 25.09.2008 um 12:01 Uhr

Börsenanalyse: Risikoversicherungen von AIG können tödlich sein

Hallo Herr Heibel, vielleicht haben Sie den beil. Artikel noch nicht gesehen (zur Info) Mit freundlichen Grüßen, Toni aus Fürth ____________________ FTD: Subprime war gestern 16.09.2008 - 20:48 Der Crash der US-Investmentbank Lehman Brothers war nicht der Höhepunkt der Finanzkrise - sondern erst der Auftakt für das CDS-Debakel. Es droht die Kernschmelze des Finanzsystems, als nächstes Opfer könnte es den Versicherungsriesen AIG treffen. Die Pleite von Lehman Brothers ist alles andere als der Höhepunkt der aktuellen Finanzkrise. Dass im Zuge der Subprime-Krise mehrere schlecht gemanagte Banken in Existenznot geraten sind, ist keine Überraschung, ebenso wenig die Tatsache, dass die amerikanische Regierung nicht alle von ihnen gleichzeitig retten kann. Allein mit der Verstaatlichung der Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac hat sich der amerikanische Steuerzahler enorm belastet. Wir sind vorerst am Ende der Bereitschaft staatlicher Hilfe und am Anfang einer langen Folge von Bankeninsolvenzen. Jeder kann sich also selbst ausrechnen, was diese Kombination bedeutet. Viel bedrohlicher ist die Krise um die Versicherungsgesellschaft AIG, die zweitgrößte Versicherung der Welt nach der Allianz. Selbst wenn es AIG gelingen sollte, eine kurzfristige Zwischenfinanzierung zu organisieren, ist damit keines der Probleme gelöst. Hinter der Krise von AIG steht die Krise eines der unglaublichsten Versicherungsmärkte, die es je gegeben hat: des Markts für Credit Default Swaps (CDS), also Versicherungen gegen Zahlungsausfälle auf festverzinsliche Wertpapiere. Der CDS-Markt hat eine Größe von 62.000 Mrd. $. Das ist ungefähr so groß wie das jährliche Bruttosozialprodukt der gesamten Welt. Dass wir an den Börsen in den vergangenen Tagen eine Flucht aus den Finanzwerten erlebt haben, ist angesichts der Gefahren durch den CDS-Markt völlig logisch. AIG hat sich verzockt Ökonomisch gesehen sind CDS Versicherungen. Jemand versichert sich gegen den Zahlungsausfall eines Bonds, dafür zahlt er dem Versicherer jedes Jahr eine Prämie. Diese wird in Basispunkten notiert: Eine Notierung von 100 Basispunkten auf eine Firmenanleihe heißt, der Versicherungsnehmer zahlt 100.000 Euro pro Jahr oder 25.000 Euro pro Quartal zum Schutz von Zahlungsausfällen auf ein Bündel dieser Wertpapiere im Werte von 10 Mio. Euro. (Der Betrag von 100.000 Euro entspricht einem Prozent oder 100 Basispunkten auf 10 Mio. Euro. ) Im Falle eines Zahlungsausfalls oder eines anderen im Versicherungsvertrag definierten Ereignisses wird die Versicherung zur Kasse gebeten. AIG war eine solche Versicherung. Aber es haben sich nicht nur Versicherungsfirmen in diesem Markt getummelt. Auch Hedge-Fonds findet man auf beiden Seiten des Geschäfts, als Versicherungsnehmer und als Versicherer. Der CDS-Markt ist zwar ökonomisch ein Versicherungsmarkt, rechtlich ist er das aber nicht, denn er fällt nicht unter die Versicherungaufsicht. Es ist daher schon möglich, dass sich Versicherer regelrecht verzocken, was bei Lebensversicherungen zum Beispiel gar nicht so einfach ist. AIG hat sich verzockt und ist Ende vergangener Woche in einen Teufelskreis geraten. Das Rating des Versicherungsriesen wackelt, und damit droht ein Anstieg der zu hinterlegenden Sicherheiten. CDS sind technisch gesehen Swaps, also Derivate, und im Derivatemarkt ist es üblich, dass die potenziellen Zahler Sicherheiten hinterlegen. Die Höhe der Sicherheiten hängt dabei von deren Kreditrating ab. Wenn das Rating fällt wie bei AIG, dann braucht das Unternehmen umso mehr Liquidität. Das Problem geht aber weiter, selbst wenn diese Liquidität vorhanden ist. Mit der zunehmenden Zahl von Insolvenzen im Finanzsektor, etwa von Lehman Brothers, werden CDS-Zahlungen fällig. Die Anzahl der Firmeninsolvenzen ist momentan noch sehr gering. Die Ausfallraten bei amerikanischen Bonds liegen noch bei unter einem Prozent des Werts der Bonds. Normal sind um die fünf Prozent. Der Boom des CDS-Markts kam also nicht zufällig zu einer Zeit niedriger Ausfallraten. Jetzt wendet sich der Wirtschaftszyklus. Die Insolvenzen nehmen zu, zunächst im Finanzsektor, aber bald auch in der Industrie und im Dienstleistungsbereich. Es werden Risiken fällig, die die angeblich so cleveren Risikomanager für so unwahrscheinlich hielten, dass sie sie völlig ignorierten. Das wirkliche Problem von AIG ist nicht eine kurzfristig fehlende Liquidität. Das Problem ist die drohende Insolvenz, wenn aus der Subprime-Krise eine CDS-Krise wird. Angst vor der Kettenreaktion Was wären die Folgen einer solchen Krise? Normalerweise kann man aus makroökonomischer Sicht Versicherungen ignorieren, denn Versicherungsmärkte sind Nullsummenspiele. Das Geld wechselt lediglich den Besitzer, aber dem gesamten System wird kein Geld entzogen. Ein makroökonomisches Problem entsteht in dem Moment, in dem die Pleite eines Versicherers zu einer Kette von Zahlungsausfällen und weiteren Pleiten führt. Wenn AIG untergehen sollte, sind AIGs CDS-Kunden nicht mehr versichert. Hier könnte es sich um Hedge-Fonds handeln, die hochriskante Positionen aufgebaut und einen Teil des Risikos abgesichert haben. Wenn diese Absicherung plötzlich wegfällt, dann verbleibt das volle Risiko bei dem Kunden, und dies zu einer Zeit steigender Zahlungsausfälle. Der CDS-Markt ist somit massiv prozyklisch. In den guten Zeiten gab es einen Boom, der zu spottbilligen Prämien führte. Jetzt in der Krise droht eine Kette von Zahlungsausfällen. Im Gegensatz dazu ist die Lehman-Pleite für das Finanzsystem an sich weitaus harmloser. Hier kommt es nicht zu gefährlichen Kettenreaktionen. Eine Pleite von AIG könnte den Kollaps des gesamten CDS-Marktes auslösen. Das wäre wirklich mit einer Kernschmelze des Finanzsystems zu vergleichen. Wir befinden uns in der Finanzkrise jetzt an einer gefährlichen Weggabelung. Wenn wir Glück haben und eine CDS-Krise vermeiden, dann lässt sich ein Ende der Finanzkrise zumindest für 2009 oder 2010 absehen. Auch in diesem optimistischen Fall sind die Abschläge im Finanzsektor völlig gerechtfertigt. Kommt es zu einer CDS-Krise, verschlimmert sich die Lage dramatisch. Dann werden wir Kettenreaktionen von Finanzpleiten erleben, gegen die die Zentralbanken hilflos sind. Es kommt zu erheblichen realwirtschaftlichen Schäden. Auch Zinssenkungen helfen da nicht weiter. Ich hatte bislang gehofft, dass wir an einer CDS-Krise so gerade noch vorbeischlittern. Seit dieser Woche bin ich mir nicht mehr so sicher. ___________________ ANTWORT: Besten Dank für den Hinweis, ich habe den Artikel mit Interesse gelesen und stimme dem Autor voll und ganz zu. Auch ich sehe die Lehman-Pleite als schmerzhaft, aber verkraftbar. AIG hätte der Markt nicht mehr wegstecken können, daher war die Rettung erforderlich (too big to fail). Es gibt noch einige andere Finanzinstitutionen, die too big to fail sind, beispielsweise die Citigroup, aber auch Washington Mutual, die Bank, die derzeit ums Überleben kämpft und die als erstes pleite gehen wird, sollte das 700 Mrd. USD Hilfsprogramm nicht verabschiedet werden. {weiter[40|9]}

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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