Veröffentlicht von Stephan Heibel am 02.04.2008 um 11:42 Uhr

Aktien Analysen: Lehman Brothers geht gegen Shortseller (Leerverkäufer) vor

Ja, Shorties können eine Bank an den Rand der Insolvenz bringen. Zuletzt ist dies fast mit Lehman Brothers geschehen, schauen Sie sich den Chart einmal an: 3-Monatschart von Lehman Brothers: Am 16. März wurde die Aktie in den Keller gepeitscht. Lehman Brothers ist sicherlich eine schlechte Aktie. Ich würde diese Aktie derzeit nicht einmal mit der Kneifzange anfassen. Doch was Shortseller mitunter aus einer schlechten Aktie machen ist nicht in Ordnung. Lehman hat sich ebenfalls, wie viele andere Broker, mit Immobilienderivaten verspekuliert. Die Verluste wachsen an, die Eigenkapitalbasis wird aufgezehrt. Es wird wichtig für das Unternehmen, neues Eigenkapital, beispielsweise durch eine Kapitalerhöhung, Secondary Offering, ins Unternehmen zu holen. Je höher der Aktienkurs zum Zeitpunkt der Kapitalerhöhung, desto leichter ist es für Lehman, ausreichend Kapital zu bekommen. Der Verwässerungseffekt (Delusion) ist nämlich mit zunehmendem Aktienkurs geringer, da weniger Aktien für eine erforderliche Kapitalsumme ausgegeben werden müssten. Fällt der Aktienkurs also zu stark, dann ist der Verwässerungseffekt einer Kapitalerhöhung zu groß, um Investoren zu begeistern. Bei niedrigem Aktienkurs wird es also irgendwann unmöglich für das Unternehmen, das erforderliche Kapital zu generieren. Shortseller haben sich in den vergangenen Monaten zunehmend einen lukrativen Spaß daraus gemacht, Aktien in den Keller zu prügeln. Dies ist heute viel leichter möglich als noch vor einem Jahr, damals war nämlich noch die Uptick-Rule gültig. Die SEC hat diese Regel außer Kraft gesetzt, die 70 Jahre alte Regel sei nicht mehr notwendig. 70 Jahre? Also wurde die Regel kurz nach der Weltwirtschaftskrise 1929-1932 eingeführt. Ein Blick in die Geschichtsbücher verrät die damalige Praktik: Ein spekulativ eingestellter Investor (heute würde man sagen: Hedgefonds) kauft sich eine ganz stattliche Position Aktien von einem Unternehmen, das derzeit schlecht dasteht (bspw. Lehman Brothers). Damit treibt er den Kurs ein wenig in die Höhe. Anschließend kauft er sich eine wesentlich größere Position Puts auf Lehman. Mit Puts spekuliert man auf fallende Kurse. Wenn er nun mit ausreichend Puts eingedeckt ist, dann schmeißt er auf einmal seine Lehman Aktien auf den Markt (zum Verkauf). Darüber hinaus verkauft er auch noch Lehman Aktien leer (Short), um den Verkaufsdruck weiter zu erhöhen. Andere Marktteilnehmer sehen dies und fürchten, dass es irgendeine negative Meldung zu Lehman gibt, die in den nächsten Minuten veröffentlicht wird. Nach dem Motto: Erst schießen, dann fragen, werden also in sekundenschnelle weitere Aktienpakete auf den Markt geschmissen und der Kursverfall beschleunigt sich. Inzwischen werden die Medien auf den Kursverfall aufmerksam und da niemand etwas weiß, greift man die über dem Markt schwebende Angst auf und behauptet, dass Lehman vermutlich in Liquiditätsprobleme geraten ist, denn sonst würde der Kurs ja nicht so fallen. Somit wird der Kursverfall nun zu Anlegern getragen, die in den folgenden Stunden aus Sorge um ihre Ersparnisse ebenfalls Lehman Aktien verkaufen. Der Kursverfall geht weiter. Lehman hat nun tatsächlich Liquiditätsprobleme und je weiter der Kurs fällt, desto unwahrscheinlicher wird es für das Unternehmen, einen Ausweg zu finden. So kann eine Short-Attacke letztlich zur selbst erfüllenden Prophezeiung werden und einen Broker wie Lehman in die Insolvenz treiben. In unserem speziellen Fall ist es Lehman Brothers nun am gestrigen Tag gelungen, durch Aktienemissionen 4 Mrd. USD einzunehmen, also ausreichend Kapital, um die Krise zu überleben. Wichtig dabei ist, dass Lehman nur Aktien an Anleger ausgegeben haben, die bestätigt haben, nicht Short zu sein. Damit ist den Short-Attacken nunmehr der Boden unter den Füßen entzogen worden. Shortseller haben dies erkannt und gerieten am gestrigen Tag in Panik. Sie mussten sich eindecken (also ausstehenden Aktien kaufen), egal zu welchem Preis. So kam der Kursanstieg von 16% bei Lehman am gestrigen Tage zustande. Wenn sich alle Shorties eingedeckt haben, wird der Kurs von Lehman erst einmal wieder konsolidieren. Vielleicht führt die Beschwerde von Lehman bei der SEC, die heute eingereicht wurde, wieder zur Einführung der Uptick Rule. Dadurch wird nämlich ein so heftiger Ausverkauf vermieden, es kann nicht zu jedem Kurs leerverkauft werden, sondern nur nach einem Kursanstieg. Ein Kurseinbruch wie bei Lehman am 16. März wäre mit dieser Regel nicht möglich gewesen. {weiter[40|9]}

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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